Magazine Review

Gemalte Reisetagebücher

2013 – Ute Maag

Die Inspiration für seine Bilder holt sich der Künstler Ralph Gelbert auf seinen Reisen. Ein Drittel des Jahres ist der Pfälzer unterwegs. Doch genauso gern kehrt er zurück in seinen Hortus Conclusus – sein Atelier in Neustadt-Königsbach.

Viel Licht fällt durch die riesige bogenförmige Glasfront ins fast sieben Meter hoheAtelier. Auf der Staffelei wartet eine großformatige Leinwand auf noch mehr Farbe. Sie leuchtet bereits gelb, grün, silbrig und braun. Davor, auf einer großen grauen Plane, stehen jede Menge Farbtöpfe. Die vielen großen und kleinen Spritzer auf dem Boden zeugen von der Energie der Pinselschwünge, die den Werken von Ralph Gelbert ihre Unverwechselbarkeit geben.

Gemalte Reisetagebücher

Der Künstler empfängt in seinem Atelier am Rande von Königsbach. Es ist ein altes Haus mit angebauter Scheune, 1880 erbaut, das der Pfälzer vor Jahren gekauft und im vergangenen Jahr aufwendig renoviert hat. Früher wohnte hier ein Kellermeister, später war es eine kleine Pension. Die Gäste scheinen es schön gehabt zu haben. Hohe Decken, in jedem Raum zwei Fenster, die den Blick auf freies Feld, Weinberge und die Hügel der Pfalz freigeben – verständlich, dass sich auch Ralph Gelbert in das Häuschen mit dem großen Garten verliebt hat.

Überhaupt, der Garten: Die Bäume sind über Jahrzehnte gewachsen, Gelbert hat den Flächen durch Buchs klare Konturen gegeben. Hinter einem kleinen Pavillon erstreckt sich ein Teich, in dem drei gelbe Kois gierig das Futter verschlingen, das der Künstler ihnen hinwirft. In den Rabatten blühen die Pfingstrosen, und unzählige heranwachsende Stauden lassen erahnen, welches Blütenmeer hier in den kommenden Monaten zu erwarten ist. Im vergangenen Sommer hat der gebürtige Landauer aus Bruchsandstein einen Kubus errichten lassen. In den Trockenmauern tummeln sich Eidechsen, und wenn Ralph Gelbert hinaufsteigt, hat er einen weiten Blick über die Gegend. „Mein Hochsitz“, sagt er und lacht, „hier sitze ich manchmal und lasse die Natur auf mich wirken.“

Gemalte Reisetagebücher

Womit wir beim Thema wären. Die Natur. Gelberts Inspirationsquelle Nummer eins. „Die Natur gibt alles vor, die Farben, die Formen“, begründet er. Wenn es warm ist, kann er die großen gläsernen Flügeltüren am Atelier aufschieben und sie hereinlassen, die Wärme spüren, Gerüche einatmen. So macht er das an jedem neuen Ort, an den er kommt. „Ich sauge die Stimmung und die Energie des Ortes auf. Es ist ein bisschen wie im Kloster. Ich beschäftige mich 24 Stunden am Tag intensiv mit der Natur und meiner Umwelt.“ Die er dann in seine Bilder transportiert.

Die Natur – Inspirationsquelle Nummer eins

Ralph Gelbert hat in Florenz studiert. Zahlreiche Reisen und Arbeitsaufenthalte, zum Beispiel in Südafrika, Namibia und Israel, folgten. Ein Drittel des Jahres ist er unterwegs, schätzt er. Gerade ist er aus Irland zurückgekehrt, er ist in diesem Jahr „Artist in Residence“ in Westport. „Da war so eine Caspar-David-Friedrich-Stimmung“, schwärmt er von der Atmosphäre am Atlantik. Papierzeichnungen auf die Leinwand zu bringen, hatte er sich vorgenommen, die Formensprache kleiner Studien in Malerei umzusetzen. Erstmals hat er Worte und Symbole in seine Bilder integriert. Jeden Einheimischen, der ihn in dem kleinen Studio besuchte, hat er gebeten, sein Lieblingswort auf Gälisch an die Wand zu schreiben. Aus diesem Fundus bediente er sich. Entstanden sind acht Arbeiten, darunter „Sheep-crossing“. „Ich habe die vielen Schafe beobachtet und rund 100 Schafsstudien gezeichnet“, erzählt er – in seiner eigenen Formensprache hat das Tier danach Einzug ins Werk erhalten. Am 8. August wird die Vernissage in Westport sein. Ein weiteres Mal wird er im November nach Irland reisen, dann wird er sich dem Thema Holzschnitt widmen.

Doch zunächst führt er die liegengebliebene Arbeit im eigenen Atelier fort. „Ich hatte viel begonnen, daran versuche ich jetzt anzuknüpfen“, sagt Gelbert und sinniert: „Das ist nicht so einfach. Einiges habe ich übermalt.“ Das Übermalen ist seine Art der Radikalität. „Ich zerstöre ein Bild, indem ich es übermale. Dann kann etwas Neues daraus entstehen.“ Oft fertigt er Skizzen, bevor er zum Pinsel greift, „aber meist bin ich völlig losgelöst – under fire sozusagen“. Seine Gefühle beim Malen kann er nur schwer beschreiben, aber: „Ich fühle mich frei und unkontrolliert.“

Gemalte Reisetagebücher

Ein Künstler kommt nie an

Und doch haben seine Bilder klare Strukturen, die ihn nicht so ganz passen lassen wollen in die Kunstrichtung der informellen Malerei, der er zugerechnet wird. „Ich gebe mir die Regeln selbst, ohne Regelzwang“, kommentiert er. Seine Gabe, die unterschiedlichen Texturen von Ölfarbe, Acryl oder auch Leinöl in sein Werk zu integrieren, Farbspuren zu legen und Flächen aufbrechen zu lassen, entwickelt er ständig weiter.

„Das Werk von gestern ist der Input für heute“, sagt er, „ein Künstler kommt nie an.“ Neonfarben sind seine jüngste Leidenschaft. Seinen im vergangenen Jahr erschienenen Bildband hat er „Hunting“ genannt. Das Bild vom Jäger gefällt ihm. Egal wo er ist, er ist ständig auf der Pirsch, fängt Licht, Farben und Perspektiven ein und verwandelt reale Orte in subjektive Stimmungsbilder, die Trophäen seiner Jagden sind – und auch Reisetagebücher auf Leinwand. Doch Ralph Gelbert ist nicht nur Jäger, sondern auch leidenschaftlicher Sammler. Vintage-Möbel hat er gern um sich. Im Esszimmer steht ein antiker Holztisch – Beute von einem Flohmarkt in Paris. Die Leuchter an den Decken – ebenfalls Fundstücke. Ein Sattler in Neustadt arbeitet gerade zwei Sofas für ihn auf, die dann im Atelier stehen sollen. In der Küche hängt ein Erbstück von der Uroma, das ein Frauenportrait zeigt – „der gute Geist des Hauses“ – neben eigenen Arbeiten, und überall auf den Fenstersimsen, dem Sekretär oder den Anrichten stehen kleine Souvenirs von irgendwoher. Und im Flur hängt eine kleine Sammlung von Selbstportraits anderer Künstler verschiedener Epochen. „Lauter Kollegen“, scherzt der 43-Jährige.

Der Bauchmensch schätzt den Austausch

Auch wenn das Künstlerhaus ein bisschen abseits steht und tiefe Ruhe es umfängt – Ralph Gelbert ist alles andere als ein Einsiedler. Er liebt den Austausch, mit seinen Studenten an der Fachhochschule Kaiserslautern, für die er regelmäßig Blockseminare abhält, oder auch mit Kollegen, die er zum Beispiel an der Kunstakademie in Bad Reichenhall trifft. Im kommenden Jahr wird er zum dritten Mal das Internationale Künstlersymposium in Neustadt an der Weinstraße leiten. Maler aus der ganzen Welt werden dann zwölf Tage lang zusammenarbeiten, den Abschluss bildet eine Ausstellung in der Villa Böhm. Ende Juni und Anfang Juli öffnet er auch sein eigenes Haus zwei Tage lang für einen „Private Studio View“. „Da prüfe ich, wie meine Bilder ankommen“, sagt er voller Vorfreude, „ich finde solche Rückmeldungen spannend, denn ich will wissen, ob ich den Betrachter emotional erreiche.“ Als Interpretationshilfe gibt er ihm allerdings nur den Titel des Werks an die Hand. Oft tragen seine Arbeiten Titel der Orte, von denen die Inspiration herrührt. „Stromboli“, „Tel Aviv“ zum Beispiel, oder „Namib Desert“.

Gemalte Reisetagebücher

Der Rest – liegt im Auge des Betrachters. „Wenn ich Vorgaben machen würde, wie ich ein Bild interpretiert haben möchte, würde ich ja die Phantasie einschränken“, begründet er. So darf jeder Schau-Lustige ganz individuell in sden Farbstrudeln versinken, ihren Verläufen folgen und die Effekte bestaunen, sich an jene utopischen Orte begeben und Zeuge werden jener Jagd, die Ralph Gelbert auch in Zukunft an neue Orte führen wird. Wohin er reist, entscheidet er „aus dem Bauch heraus“, so wie er ohnehin ein Bauchmensch sei. Doch genauso gern, wie er das schmiedeeiserne Tor vor seinem Haus abschließt, um auf die Jagd zu gehen, so gern kehrt er auch zurück. „Das Atelier ist meine Basis, mein Ruhepol und Rückzugsgebiet“, sinniert er. „Man könnte sagen: mein Hortus conclusus.“

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